Vom Mut zur Selbstfindung

Die „Einfache Geschichte von Holger F.“ in 14 Liedern im Altstadttheater

Von Robert Luff

Donaukurier; Mai 2022

 

Ingolstadt – Das Bühnenformat war ungewöhnlich, doch das Ergebnis grandios: Der Münchner Schauspieler Rüdiger Bach ließ in 14 musikalischen Stationen das Leben des unscheinbaren Holger F. Revue passieren und überzeugte dabei auf ganzer Linie: Mit Anfang 50 muss Holger Abschied nehmen von seiner Mutter, die im Pflege- heim stirbt. Er räumt deren Wohnung aus und findet dabei Erinnerungsstücke an seine Kindheit und Jugend. Aber auch sein bisheriges Leben als Erwachsener zieht an ihm vorbei und wird nun plötzlich infrage gestellt. Am Ende fasst Holger den Mut zu einem Neuaufbruch voller Selbstvertrauen und Selbsterkenntnis.

Die Metamorphose des unscheinbaren, perfekt funktionierenden Holger zu einem selbstbewussten und sich selbst wertschätzenden Menschen vollzieht sich schrittweise und führt über die Etappen Kindheit, Jugend, Trennung der Eltern, Ausbildung, Beruf, Pflege und Tod der Mutter. Die Bühne ist nur mit Umzugskarton, Müllbeutel und Koffer ausgestattet, dazwischen steht ein Porträt der Mutter. Und doch bietet dieses spartanische Bühnenbild genügend Imaginationsraum, um Abschied zu nehmen. Es ist ein Abschied, der Holger eigentlich erst ins Leben führt, denn dieser Mann, der für viele steht und deshalb keinen Nachnamen trägt, gewinnt in den 60 Minuten Spiel- zeit immer deutlichere Konturen und immer mehr Freiheit.

Dabei wirken die perfekt ineinandergreifenden Lieder, zwischen denen lediglich kurze Sätze und Handlungen des Protagonisten eingestreut sind, wie eine Art Katalysator der schritt- weisen Selbsterkenntnis und Emanzipation. Die Lieder stammen nicht von Bach selbst, sondern von Marlene Dietrich und Bettina Wegner, von Marita Gründgens und Gitte Haenning oder auch einmal von Udo Jürgens und Wencke Myrhe. Rüdiger Bach interpretiert die Play- backs aber so individuell und intensiv, dass die deutschen Texte exakt auf die Lebensstationen von Holger F. passen. Er singt, spielt, tanzt und lebt die- sen Mann so authentisch, dass dessen Befreiung von Pflichten und Zwängen, seine Freude und Trauer, Vergebung und Hoffnung für die Zuschauer le- bendig werden.

Holgers Reise in die eigene Vergangenheit wird so zu einer Bewegung in die eigene Innerlichkeit, wo er die bisher unbekannten Winkel seiner Seele ausloten kann – wie einst Goethes Werther im gleichnamigen Briefroman, nur eben diesmal mit Happy End. Und es gibt noch einen Unterschied zu Werther: Holger F. steht auf Männer. Zu seiner Homosexualität, die von der Mutter be- kämpft und unterdrückt wird, kann er sich erst nach ihrem Tod offen bekennen. Dann allerdings wirkt dieses Outing wie eine Befreiung. Vorher hatte ihm sein damaliger Freund ein Ultimatum gestellt und Holger hatte sich noch für die Mutter entschieden.

Es gibt Schlüsselszenen dieser Reise zu sich selbst, die in der frühen Kindheit beginnt. Markiert werden sie durch Lieder wie „Wenn ich groß bin, liebe Mutter“ von Marita Gründ- gens oder „Ein Junge weint nicht“ von Gerhard Schöne. Da- rin spiegeln sich kindliche Hoffnung und Liebe wider, aber auch schon deren Grenzen durch autoritäre Erziehung. Die frühe Solidarität mit dem Vater begegnet in „Wir beide gegen den Wind“ von Veronika Fi- scher, der Schmerz um den Verlust des Vaters, der Frau und Kind verlässt und dessen Abschiedsbrief Holger findet, in „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“, das ursprünglich von den Comedian Harmonists stammt.

Es sind diese Träume eines zwischen beiden Eltern hin- und hergerissenen Jungen und später das Ringen des Jugendlichen um Liebe und Orientierung, die so an dieser Geschich- te bewegen. Er war zwar – wie Udo Jürgens – „noch niemals in New York“, doch weiß er jetzt, dass die Liebe sogar größer als das Leben ist, und vor allem kann er sich endlich zu sich selbst bekennen: „Ich bin, was ich bin“ singt er mit Ross Anto- ny und zeigt damit die Stärke und Kraft, mit der er sein neues Leben beginnt. Rüdiger Bachs musikalisches Einmann-Stück ist eine einzige Hommage an das Leben und an die Liebe. DK

 

„Holger F.“: Ein Leben in 14 Liedern

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Holger – der Name war einfach da. Ein unscheinbarer, zurückhaltender Mann. Verwaltungsfachangestellter, Anfang/Mitte 50. Hobbys:
Tanzen und Musical. Er lebt noch immer bei seiner Mutter. Als sie stirbt, muss er die Wohnung ausräumen. Eine Gelegenheit, die Vergangenheit Revue
passieren zu lassen: Kindheit, Jugend, Trennung der Eltern, Ausbildung, Beruf, Pflege der Mutter. Aber auch: erste Liebe, Träume, verpasste Chancen.

„Holger F. – eine einfache Geschichte in 14 Liedern“ heißt das Programm von Rüdiger Bach, mit dem er am Freitag, 27. Mai 2022, im Altstadttheater gastiert. Der Titel ist Programm, denn Holgers Geschichte erzählt sich nur über Musik: „Wenn ich groß bin, liebe Mutter“, „Clown sein“, „Ich bin, was ich bin“, „Ich will alles“ oder „Ich war noch niemals in New York“. In 14 Songs präsentiert Rüdiger Bach das Seelenleben seines Protagonisten. „Auch die Mutter bekommt mit ,Irgendwo auf der Welt‘  ein eigenes Lied. Mit dem klar wird, dass auch sie Sehnsüchte hatte, die sie nicht verwirklichen konnte“, erzählt der Schauspieler. Sein erklärtes Lieblingslied aber ist „Meine blaue Gitarre“ – „es passt einfach gut zu Holger“. Die blaue Gitarre wird er natürlich in
Ingolstadt dabei haben.

Der Abend (Regie: Konstantin Moreth) erzählt von Holgers Befreiung – von Zwängen und Abhängigkeit – und von seinem Aufbruch in ein neues Leben. Rüdiger Bach arbeitet übrigens gerade an einer Fortsetzung. Wie es mit Holger F. weitergeht, soll der Kurzfilm „Holger – einfach Liebe“ zeigen. Drehtermin mit Thomas Schwendemann („Wer 4 Sind – Die Fantastischen Vier“) ist im Juli/August.
Eine Biografie wird die „Holger“-Trilogie vervollständigen.
DK

Rüdiger Bach ist HOLGER – Ein Nachbericht zur Premiere vom 01. Oktober 2021

Jüngst veröffentlichte ich noch das Interview mit dem Schauspieler und Autor Rüdiger Bach zur anstehenden Premiere seines neuen Bühnentheaters „Holger F.“ sowie der Veröffentlichung seines Mutmach-Buches „Nimm dich selbst bei der Hand“ – ein nützlicher Ratgeber für Schauspieler, und solche die es werden wollen für Jung und Alt. Hier geht es zum Interview.

Nun war es schon so weit: Mit einer Pressekarte ausgestattet machte ich mich auf den Weg zum Kleinen Theater Haar, eine Kulturbühne in einem gepflegten Jugendstilhaus, welches auf dem Gelände des Isar-Amper-Klinikums als Hotspot für Schauspiel, Kabarett und Musikveranstaltungen errichtet wurde. Nach kurzem, freundlichem Empfang durch den Intendanten Matthias Riedel-Rüppel wurden wir in den Saal gebeten. Die ursprüngliche Kinobestuhlung wurde aufgehoben, stattdessen wurde kurzerhand eine freie Platzwahl in Varieté-Bestuhlung, sprich Sitzgruppen mit vier Stühlen plus kleinen Tisch, arrangiert. Wunderbar – keine Scheu zeigen und gleich ganz nach vorne war hier die Devise.

Sobald die Platzierung abgeschlossen und das erste Getränk des Abends dargereicht wurde, konnte man bereits die ersten Eindrücke des Bühnenbilds sammeln. Auf den Einsatz des Vorhangs wurde ganz bewusst verzichtet, stattdessen kann man sich bereits in die Situation einfühlen. Auf der Bühne wurde mit einem minimalistischem Potpourri an Gegenständen, die so typisch für jede Wohnungsauflösung oder Umzug stehen, gearbeitet. Es finden sich also Kisten, ein Müllsack und die letzte Sitzgelegenheit aus dem früheren Kinderzimmer von Holger nebst einer Art Schrein mit dem Foto der kürzlich verstorbenen Mutter samt Trauerband.

Kommen Sie wieder ins Theater, es macht nicht krank.

Hierzu später mehr, denn der Einlass ist bereits abgeschlossen und der Intendant möchte die Gelegenheit nutzen auf das Folgende einzustimmen, lässt hierfür die Probenzeit mit Rüdiger kurz Revue passieren und wendet sich schließlich noch eindringlich an die, zugegeben überschaubare, Publikumsmenge. „Kommen Sie wieder ins Theater, es macht nicht krank. Im Gegenteil, Kultur ist gesund für die Seele.“ Nach einem überzeugenden Applaus verlässt Riedel-Rüppel wieder die Bühne und macht Platz für das eigentliche Programm.

Bach nutzt zunächst die laufende Musik und betritt die Bühne nachdem er durch den Zuschauerraum schreitet und kurz bei dem Schrein inne hält um Blumenschmuck abzulegen. Sogleich beginnt die eigentliche Handlung, welche den Grundstein für einen Prozess der Verarbeitung, Emanzipation und inneres Wachsen des Protagonisten über das gesamte Stück hinweg legen wird. „Holger“ beginnt, zunächst apathisch, noch von Trauer übermannt, die Fortschritte der Wohnungsauflösung zu begutachten. Sein Ort der Geburt, des Heranwachsens und eigentlich ganzen Lebens – all dies wird sich nun ändern. Zuerst zögerlich greift er nun in die Kiste mit Habseligkeiten aus der Kindheit und Jugend. Mit einigen der Gegenstände lassen sich Begebenheiten und Erlebnisse im jungen Leben des Protagonisten verknüpfen, er nimmt die Zuschauer mit auf diese Reise und nutzt teils bekannte, teils unbekannte Lieder um in jene Erinnerungen einzutauchen.

Natürlich möchte ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Wesentliche Schlüsselszenen sind jedoch wie Holger es schafft mit seinem Vater, der früh die Familie verließ, Frieden zu schließen und wie Stück für Stück die Abnabelung vom einstigen Regiment der Mutter hinein ins freie und selbstbestimmte Leben führt. All dies vermittelt Bach singend, die Stückauswahl ist gelungen und zwischendurch erfüllt immer wieder Heiterkeit den Zuschauerraum beim Beobachten der kindlichen Freude, mit der Bach in der Lage ist, Emotionen und ausdrucksstarke Freude zu transportieren. Für meinen Geschmack hätten Richtung Ende der Aufführung ruhig noch längere und rundere Töne dabei sein können, Bach setzt auf akzentuierte Betonung, um weiterhin die Geschichte zu

transportieren – dies erweckt manchmal den Eindruck, dass die Figur Holger trotz allem weiterhin „mit gezogener Handbremse“ singt.

Alles in allem ein gelungener Theaterabend, der den Zuschauer:innen eine Geschichte offenbart, die eigentlich ganz einfach, nichtsdestotrotz so nahbar und emotional, erheiternd und melancholisch sowie befreiend und positiv zugleich ist. Aktuell sucht Rüdiger Bach nach Spielorten für das Stück „Holger F.“ Sobald Termine bekannt werden können diese auf den sozialen Kanälen des Künstlers eingesehen werden.

Wer sich den Trailer zum Stück anschauen möchte klickt bitte hier.

 

Schauspieler Rüdiger Bach

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Fotografie & Webdesign:

Beate Kellmann

www.bkportfolio.com